Töpfern war gestern


Volkshochschulen haftet immer noch ein altbackenes Image an. Zu Unrecht! Ein Besuch in Potsdam.

Da ist etwas, was sich sträubt beim Gedanken, eine Volkshochschule zu besuchen. Auf dem Weg zur Potsdamer Einrichtung, einer von 924 in Deutschland, schieben sich unweigerlich Bilder von flackernden Neonröhren, fleckigen Projekto- ren und kaputten Kaffeeautomaten in den Kopf. Ein Ort für Hausfrauen, die sich in Töpferkursen selbst verwirklichen wollen, obwohl der Gatte daheim die Erzeugnisse nur einmal mit »Schön, mein Schatz« kommentiert und dann nie wieder etwas dazu sagt. Für Althippies, um ihre kruden Esoteriktheorien zu verbreiten. Für zukünftige Skandinavienreisende, die kurz vor dem Trip noch schnell lernen wollen, was »Danke« und »Bitte« auf Norwegisch heißt, von sogenannten Lehrern, die selbst auch nicht viel mehr können – so denkt man. Eigentlich fängt das Sträuben ja schon bei der Bezeichnung an. Wer spricht denn bitte heutzutage noch vom Volk? »Unmodern, altbacken, was für
alte Leute« – so klingt das. Und diese Vorbehalte sind weit verbreitet, das hat etwa der Bayerische Volkshochschulverband gerade wie- der in seiner jährlichen Imageanalyse festgestellt. Vor allem freilich unter Leuten, die nie selbst an einem VHS-Kurs teilgenommen haben.

Doch wie wichtig gerade heute die Fort- und Weiterbildung für Erwachsene ist, hat die PIAAC- Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gezeigt. Die im Oktober präsentierten Ergebnisse der auch als »Pisa-Test für Erwachsene« bekannten Studie sind alarmierend: Jeder fünfte Deutsche zwischen 16 und 65 kann nicht besser rechnen als ein Grundschüler, ein Sechstel nur einfachste Texte verstehen, und zwei Drittel können kaum mit dem Internet um- gehen. Deutschland landete im Mittelmaß der Industrieländer, weit abgeschlagen hinter Finnland und Japan.

Eigentlich wären die Volkshochschulen bestens dazu geeignet, diese Mängel aufzufangen. Allein schon deswegen, weil es bereits so viele von ihnen gibt. Gerade in ländlichen, strukturschwachen Regionen sind sie oft die einzigen Anlaufpunkte für eine regelmäßige Weiterbildung. Außerdem stehen sie allen Menschen offen, unabhängig von Bildungsabschluss oder Alter. Und allzu teuer sind die Kurse auch nicht. Wenn da nur nicht dieses schlechte Image wäre. Doch ist das überhaupt gerechtfertigt? Vielleicht sollte man das Sträuben einmal überwinden und sich eine Volkshochschule anschauen – zum Beispiel die in Potsdam.

Erste Überraschung: Die Volkshochschule befindet sich nicht in einem schmucklosen Sechziger-Jahre-Gebäude, von dem der Putz herunterbröckelt, sondern ist Teil des so- genannten Bildungsforums – eines gerade fertiggestellten Neubaus mit eleganter Glasfassade, in dem auch die Stadt- und Landesbibliothek untergebracht ist. In unmittelbarer Nähe sind die berühmte Nikolaikirche und der neue Landtag. Beste Lage also für die Albert-Ein- stein-Volkshochschule. Zweite Überraschung: Der erste Kurs unseres heutigen Tagesprogramms findet gar nicht in diesem Gebäude statt, sondern in der nahe gelegenen
Fachhochschule.

Volkshochschuldozenten bringen hier Erasmus- Studenten Deutsch bei. Elf Studierende der Fächer Architektur, Kulturarbeit und Design lernen gerade das Perfekt. Sie kommen aus Finnland, Frankreich, Italien und Spanien, dazu- gesellt hat sich ein Au-pair- Mädchen aus Südkorea. Da kann es leicht passieren, dass die Gruppe ins Englische fällt. Doch die Dozentin Katrin Wartenberg geht sofort dazwischen mit einem sanften »Kann ich auf Deutsch helfen?«. Wartenberg verfügt über die nötige Erfahrung, mit derart heterogenen Gruppen umzugehen. In Deutsch als Fremdsprache hat sie ein Diplom, in Potsdam leitet sie als freie Dozentin auch Kurse in der so- genannten Grundbildung, für Leute, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben ihrer Muttersprache Deutsch haben. Kooperationen wie die mit der Fachhoch- schule seien längst normal, sagt sie. Das ist Teil einer Modernisierung, die ein Großteil der deutschen Volkshochschulen in den vergangenen Jahren vollzogen hat. Die Berufsförderung nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. So werden auch in Potsdam maßgeschneiderte Kurse für Firmen, Behörden und auch für Einzelpersonen angeboten. Dazu gehören Fremdsprachenprogramme ebenso wie Fortbildungen in so­ genannten Schlüsselqualifikationen wie interkulturelle Kompetenzen, Konfliktmanagement oder Rhetorik und Stimmtraining.

Der nächste Kurs an diesem trüben Novembermorgen verspricht da mehr Klischees. »Eng­ lisch mit Muße« heißt er etwas gewollt und richtet sich hauptsächlich an Senioren. Fünf Frauen und zwei Männer im gesetzten Alter haben sich heute im Raum 2­35 der Volkshochschule versammelt. Von den eigentlich 14 Teilnehmern sind einige verreist. Nächste Woche wird eine weitere Dame auf Weltreise gehen, deswegen hat sie heute Lebkuchentaler mitgebracht. Fehlt nur noch der Kaffee zum Kränzchen. Aber als der Unterricht begonnen hat, wird schnell klar: Eine gemütliche Plauderstunde ist das hier nicht. Dozentin Kerstin Morling, auch sie ausgebildete Lehrerin, fragt zuerst ein englisches Gedicht über den November ab, das die Teilnehmer zu Hause auswendig lernen sollten.

Abwechslungsreich geht es weiter, Morling verteilt Kärtchen mit Gegenstandsbeschreibungen, lässt eine CD mit einer Hörübung laufen, verteilt Aufgaben für die Gruppenarbeit, damit sich die Teilnehmer untereinander unterhalten. So hätte man früher in der Schule auch gern Englisch gelernt. Der 69­jährige pensionierte Lehrer Jürgen Rickmers hatte in der Schule überhaupt keine Möglichkeit, die Sprache zu lernen. In der DDR gab es nur Latein, Altgriechisch und Russisch. »Gerade im Ausland kommt man ja ohne Eng­ lisch nur schwer durch«, sagt er, »da bin ich froh, dass ich mir das hier abholen kann.« An der Volkshochschule habe er schon mehrere Kurse belegt, »weil man da davon ausgehen kann, dass die Bedingungen und die Lehrer gut sind«. Angenehmer Nebeneffekt: »Ich merke, wie es mir hilft, geistig fit zu bleiben.«

Darum muss es eben in der Volkshochschule auch gehen. Denn wie der Name schon sagt, sollte sie sich an alle Menschen richten – vom Erasmus­Studenten, der Deutsch lernen will, bis zur deutschen Rentnerin, die endlich Englisch lernen möchte. 675000 Veranstaltungen boten die deutschen Einrichtungen im vergangenen Jahr an. Neben klassischen Kursen zählen dazu auch Lehrgänge, Einzelveranstaltungen und Studienreisen.

Gerade in der Vielfalt liege die Einzigartigkeit, sagt Sabine Schmidt­Lauff. Sie ist Professorin an der TU Chemnitz und Vorstandsvorsitzende der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. „Das kann keine Einrichtung so gut leisten wie die Volkshochschule. Sie ist erstklassig vernetzt und, das beweisen Studien, von den Inhalten und Formaten her immer am Puls der Zeit.«

Dafür, dass das auch in der VHS in Potsdam so ist und bleibt, kämpft die Leiterin Roswitha Voigtländer täglich, seit Jahrzehnten. 1991 ist sie über eine ABM­Stelle an die Volkshochschule gekommen und hat sich bis zur Direktorin hochgearbeitet. Sie ärgert sich sehr darüber, dass ihre Arbeit so oft belächelt wird. »Wenn Sie wieder etwas von Häkeln und Töpfern schreiben, werde ich echt sauer«, so eröffnet die resolute rothaarige Frau das Gespräch.

Natürlich würden auch in Potsdam diese Kurse angeboten. Aber sie seien eben nur ein Teil der 15 000 Stunden Unterricht, die ihre Dozenten im Jahr 2012 erteilt haben. »Wie stark wir unser Angebot in den vergangenen Jahren ausgeweitet haben, ist den Menschen leider nicht bewusst«, sagt sie. Voigtländer tut, was sie kann, um das zu ändern: Sie verteilt mit ihren Mitarbeitern Broschüren am Bahnhof, startet Initiativen mit den kommunalen Betrieben. Letztlich fehlt ihr aber schlicht das Geld. »Eigentlich brauchen wir eine Stelle exklusiv für die Öffentlichkeitsarbeit«, sagt sie. Bisher machten sie und ihre sieben festangestellten Mitarbeiter das nebenbei. Doch Voigtländer hat schon Schwierigkeiten, ihre Dozenten anständig zu bezahlen. Viele kämen durch komplizierte Einschränkungen nicht einmal auf den mit der Stadt vereinbarten Tarif von 22,50 Euro pro Stunde.

Das sei kein Einzelfall, sagt Sabine Schmidt­ Lauff. »Die Volkshochschulen sind strukturell unterfinanziert.« Das liege an der fehlenden öffentlichen Unterstützung. In der Regel tragen Kommune, Bundesland und Teilnehmer jeweils ein Drittel der Kosten. Zurzeit würden die Einnahmen aus den Teilnahmegebühren zurzeit sogar steigen, dafür sänken aber die staatlichen Zuschüsse. Ein Unding, meint Schmidt-Lauff. „Alle sprechen immer von der Wissensgesellschaft, aber gerade die Volkshochschulen, die dieses Wissen vermitteln, müssen um jeden Cent kämpfen."

Natürlich könnten sie allein die erschreckenden PIAAC-Ergebnisse nicht auffangen. "Da muss ein ganzheitlicher Ansatz her, der lebenslanges Lernen ehrlich meint und Schulen wie Sozialeinrichtungen mit einschließt", sagt Schmidt-Lauff. Aber die Volkshochschulen könnten zumindest verhindern, dass die Erwachsenenbildung in Deutschland weiter abrutscht. Dafür müssten sie einerseits ihre Angebote ausbauen können, andererseits dürften sie aber auch die klassischen Kurse nicht vergessen. "Die können ein Schlüssel für die Menschen sein, um in die Weiterbildung einzusteigen."
Wie für Doris Ahlert zum Beispiel. Die 55-jährige Sachbearbeiterin einer Potsdamer Firma hatte nie Sport gemacht. Irgendwann merkte sie, dass sie Training brauchte, um nicht ernsthafte gesundheitliche Probleme zu kriegen. In ein Fitnessstudio zu gehen, umgeben von Muskelprotzen, konnte sie sich nicht vorstellen. Also suchte sie sich an der Volkshochschule den Kurs "Bewegungstraining für den Einstieg" aus. Einmal in der Woche trainiert sie nun dort abends für eine Stunde auf dem Stepper und auf der Matte unter professioneller Anleitung einer Sportlehrerin. Hätte ihr eine Freundin nicht davon erzählt, sie wäre nie darauf gekommen, dass man an der Volkshochschule so viel machen kann. Jetzt überlegt sie, bald einen Sprachkurs zu beginnen.



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DIE ZEIT
28. November 2013

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