Einmal vollarbeiten, bitte


An einer Berliner Tankstelle kann man jetzt Büroplätze mieten. Ein Selbstversuch

Zur Tankstelle an der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg fahre ich mit der U-Bahn. Es riecht nach Benzin. Ich schlängle mich durch die parkenden Autos vor den Zapfsäulen und betrete den Laden. Der Mann mit den zurückgegelten Haaren und dem roten Shell-Polohemd hinter der Kasse denkt sich wohl schon, was ich gleich sagen werde: "Die Fünf, bitte" oder "Einmal rote Gauloises" – viel mehr als Variationen dieser Sätze bekommt er hier ja selten zu hören. Aber ich möchte etwas anderes. "Hier kann man auch arbeiten, mit WLAN und so?", frage ich. Ein Freund, der hier neulich getankt hat, hat mir davon erzählt. Der Mann hinter der Kasse guckt verdutzt, aber nur kurz. "Ach so, ja, da brauchen Sie so eine Karte", antwortet er. Ich kann wählen zwischen 5, 20, 30 oder 50 Euro Guthaben. Für fünf Euro darf ich bis 22 Uhr hier arbeiten. Drucken oder faxen kosten extra. Er schiebt die Karte über den Tresen. Blau ist sie, "Regus" steht drauf – das mir bis hierhin unbekannte Wort habe ich auch schon draußen zwischen den Zapfsäulen überall gesehen. "Und jetzt?" Er weist auf die Rückwand des Ladens. Die ist aus Glas, und dahinter ist ein ganzer Büroraum zu erahnen. "Sie müssen die Karte an den Bildschirm neben der Tür halten. Und sonst habe ich damit nichts zu tun." Er wirkt erleichtert.

Ein Büro in der Tankstelle?

Die Firma Regus treibt hier, wo andere tanken, die Revolution der Arbeitswelt voran. Das britische Unternehmen vermietet seit Jahren in Metropolen flexible Büroarbeitsplätze, Konferenzräume oder virtuelle Büros. Das Tankstellenbüro ist ein Pilotprojekt, das in Berlin vor ein paar Wochen angelaufen ist. Alle 70 Shell-Tankstellen der Hauptstadt sollen bald ein solches Büro oder zumindest ein Terminal mit Internetanschluss und Drucker erhalten. Michael Barth, Geschäftsführer von Regus Deutschland, will so jeden ansprechen, der mobil ist und daher entsprechendes Equipment benötigt. "Angefangen beim selbstständigen Handwerker, der schnell noch eine Rechnung versenden möchte, bis hin zum Geschäftsführer, der einen ruhigen Platz braucht, um sich in eine Telefonkonferenz einzuwählen", sagt Barth. Da würden sich Tankstellen als flexible und leicht zu erreichende Lösung anbieten. Wie gut das angenommen wird, kann er nach der kurzen Zeit noch nicht sagen. In Paris gebe es ein ähnliches Modell, das funktioniere. "Und in Berlin kommen täglich neue Besucher und testen unser Konzept."

Als einer dieser Tester gehe also ich an mit Chipstüten und Öldosen vollgestopften Regalen vorbei auf das Büro zu und halte die Karte an den Bildschirm. Die Tür öffnet sich nicht. Erst muss ich E-Mail-Adresse und Telefonnummer auf einem Touchscreen eingeben. Das Schloss schnappt auf. In dem etwa 20 Quadratmeter großen Raum, der "business-lounge", wie es an der braun vertäfelten Wand steht, riecht es nach Reinigungsmittel. Die Designer haben sich wirklich Mühe gegeben, die Illusion eines mehr oder weniger modernen Büros zu vermitteln. Zur Verfügung hatten sie dafür anscheinend vor allem Plastik und ein wenig Holz. Auf einem Flachbildfernseher läuft in Endlosschleife die Tagesschau, davor stehen zwei graue Sessel, von der Decke hängen vier schwarze Lampen. Es gibt eine Bar mit vier mintgrünen Hockern und einem eingeschalteten Rechner. Sogar die Topfpflanze wurde nicht vergessen.

Gerade in Berlin hat man sich schon daran gewöhnt, dass Arbeit nicht unbedingt mehr so aussieht, wie man es jahrzehntelang kannte. Zumindest in den angesagten Vierteln gehören die silbernen und weißen Apple-Laptops mit den Latte Macchiato schlürfenden Hipstern dahinter fast zur Grundausstattung der Cafés. Die Leute haben hier keine Stelle, sondern ein "Projekt" – ein Blog, ein Label, eine Marke –, das sie manchmal nur schwer erklären können. Man kann darüber schmunzeln. Man kann aber auch erkennen, dass diese Menschen mit ihrer Vorstellung von Arbeit gerade die Stadt durchdringen und mit ihren Start-up-Firmen der notorisch trägen Wirtschaft Berlins dringendst ersehnte frische Impulse geben.

Impulse soll ich im Tankstellenbüro wohl von den "Thinkpods" bekommen. Zwei Gebilde, die in der Mitte des Raumes stehen und ein bisschen wie eine Badewanne mit besonders hohem Rand und Seiteneinstieg anmuten. In der "Denkkapsel" sind Sessel, Ablage, Leselampe und ein Stromanschluss. Ich setze mich hinein, wobei ich kurz das Gefühl habe, aus der Welt zu versinken, schließe meinen Laptop an und beginne zu arbeiten.

Technisch funktioniert alles einwandfrei. Wie ich ins Internet komme, erklärt mir ein Aufsteller, das geht schnell und unkompliziert. Vertrackter ist das Ausdrucken, Scannen oder Faxen, aber mit ein bisschen Übung ist das auch kein Problem. Abgerechnet werden die nicht teuren Aufträge mit meiner Prepaid-Karte. Ein kleines, aber sehr sinnvolles Detail sind die Handy-Ladekabel mit Anschlüssen für jedes Gerät. Mein Handy habe ich immer dabei, ein Kabel nie.

Man könnte das Home-Office also auch gut hierhin verlegen. Denn längst ziehen die jungen Selbstständigen mit Laptop und Kopfhörern wie Nomaden durch die Stadt – immer auf der Suche nach dem Ort, wo es sich vermeintlich am besten arbeiten lässt. Kein Zufall also, dass immer mehr der sogenannten Coworking-Spaces entstehen. Das sind Arbeits- und Bürogemeinschaften, in denen man stunden-, tage- oder monatsweise einen Arbeitsplatz mieten kann. Dort treffen sich Kreative und Wissensarbeiter, die einerseits ihre berufliche Freiheit zwar schätzen, aber den Kontakt zu anderen Freiberuflern nicht missen möchten. Der bekannteste Coworking-Space in Berlin ist das betahaus. In dem ehemaligen Gewerbegebäude gibt es drei loftähnliche Hallen. Dort tummelt sich die digitale Elite oder was sich dafür hält. Kaum einen Steinwurf vom betahaus entfernt befindet sich seit ein paar Wochen das Tankstellenbüro. Ist das nun die logische Konsequenz, der nächste Schritt in die Zukunft der Arbeit?

Je länger ich in meinem Thinkpod versunken bin, umso stärker werden meine Zweifel daran. In drei Stunden haben mich zwar einige Leute verwundert angeschaut, aber niemand ist durch die Glastür zu mir hineingekommen. Warum auch, eine Tankstelle ist nun mal dazu da, sie möglichst schnell wieder zu verlassen. Durch das Fenster sehe ich, wie ein Auto nach dem nächsten abgefertigt wird. Alles ist auf höchste Funktionalität ausgelegt. Und diese Funktionalität drückt drinnen auf mein Gemüt, genauso wie der gleichbleibend hohe Ton der Belüftungsanlage.

Fast beneide ich den Servicemann in der gelben Weste, der von Auto zu Auto wetzt, Scheiben putzt, Reifen überprüft. Der hat wenigstens mit anderen Menschen zu tun. Ich habe die Topfpflanze und all die anderen fremden Dinge, die mich an Büros immer stören. Alles, was mir zu Hause fehlt – der Plausch in der Kaffeeküche, das Herumwitzeln –, fehlt mir auch hier. Da frage ich mich, ob das Tankstellenbüro eigentlich das Richtige für mich ist. Denn Laptopkreative wollen Topfpflanzen und grauen Teppichen ja gerade entkommen. Wer aber mal eben ins Internet muss, der kommt im Internetcafé billiger weg, ohne all den Registrierungskram. Um hinauszukommen, muss ich noch einmal die Karte an den Bildschirm halten. Jetzt wird abgerechnet. Das nächste Mal komme ich zum Tanken hierher.

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DIE ZEIT
18. April 2013

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