Eng verzahnt
Hochschule oder Industrie? Für junge Nachwuchswissenschaftler ist das künftig keine Entweder-oder-Frage mehr
Axel Brennicke ist mit Leib und Seele Molekularbotaniker an der Universität Ulm, doch empfehlen kann er eine Karriere wie seine nur bedingt. »Wer in die öffentliche Forschung geht, sollte sich wirklich ausschließlich für Wissenschaft interessieren. Man sollte sich nicht fragen, ob man mal seine Kinder ernähren kann, und die Sicherheit des Jobs sollte auch keine Rolle spielen«, sagt der Autor des Buches Wollen Sie wirklich Wissenschaftler werden? ... dann los!. Brennicke kann es gut verstehen, wenn junge Naturwissenschaftler lieber den lukrativeren Weg in die Industrie einschlagen, wo gut ausgebildete Kräfte oft begehrt sind. Allerdings führte das lange in eine Sackgasse: Wer sich einmal für die Wirtschaft entschieden hatte, fand nur schwer in die Wissenschaft zurück. Universität und Unternehmen waren wie zwei Parallelwelten, die nebeneinander um sich selbst kreisten.
Doch mittlerweile scheinen sie sich immer weiter aufeinander zuzubewegen. Unternehmen interessieren sich stärker für die Grundlagenforschung, Forschungseinrichtungen möchten ihre Erkenntnisse an den Markt bringen. Wie diese Verschmelzung funktioniert, lässt sich in Aachen beobachten. Zwei Kolosse aus Wissenschaft und Industrie haben sich dort zusammengetan: die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH), deutsche Eliteuniversität, und E.on, Deutschlands größter Energieerzeuger.
150 Leistungselektroniker, Netzspezialisten, Maschinenbauer, Geophysiker und Wirtschaftswissenschaftler suchen hier nach Antworten auf die großen Fragen der Zukunft. Können Häuser selbst Energie erzeugen? Kann man Kohle sauber verbrennen? Wie lässt sich Erdwärme nutzen? Klassische Fälle für die Grundlagenforschung - und damit für eine Universität wie die RWTH. Doch spätestens seit der Energiewende hängt an solchen Fragen auch die Zukunft eines Konzerns wie E.on. Deswegen finanziert das Unternehmen der Hochschule seit 2006 über eine Public-Private-Partnership ein spezialisiertes Forschungszentrum mit 40 Millionen Euro, verteilt über zehn Jahre. Die Hochschule verpflichtet sich im Gegenzug, weitere Drittmittel für Projekte einzuwerben. Das Ganze nennt sich E.on Energy Research Center.
Ganz neu ist die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschung nicht: Unternehmen haben schon früher begonnen, Hochschulen Geld (sogenannte Drittmittel) für bestimmte Forschungsvorhaben zu geben oder ganze Lehrstühle (sogenannte Stiftungsprofessuren) zu finanzieren. Neu ist hingegen die langfristige, enge Zusammenarbeit, ohne dass konkrete Projekte vereinbart werden. Das Aachener Modell, das Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik der TU Braunschweig, das zum Teil auf dem Campus von Volkswagen angesiedelt ist, und die T-Labs in Berlin, eine Kooperation der Telekom mit der TU Berlin, sind prominente Beispiele dieser Zusammenarbeit. Die Ziele sind bei allen Kooperationen ähnliche: anwendungsnahe Grundlagenforschung - die der Forschung und den Unternehmen zugute kommt.
Die Gleichung ist einfach: Die Hochschulen bekommen von den Unternehmen Geld für ihre Forschung - und die Unternehmen die Ergebnisse, die sie für die Entwicklung neuer Produkte benötigen. Andrea Frank leitet den Programmbereich Dialog und Forschung beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, in dem sich rund 3000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen und Privatpersonen zur Förderung der Wissenschaft zusammengetan haben. »Die Hochschulen sind auf Drittmittel angewiesen, auch auf private«, sagt sie. Und auch Unternehmen seien in ihrer Grundlagenforschung zunehmend auf externe Partner angewiesen und suchten stärker die Kooperation. Der Bayer Konzern hat zum Beispiel seine interne Grundlagenforschung im Pharmabereich weitgehend zurückgefahren und sucht zusammen mit öffentlichen Einrichtungen nach neuen Ideen.
Dabei beteuern die beteiligten Partner, dass es ihnen nicht bloß ums Geld gehe. Gerade für eine Großorganisation wie E.on sei es wichtig, auch einmal die ausgetretenen Pfade zu verlassen, findet Klaus-Dieter Maubach, Mitglied des E.on-Vorstands und im Beirat des Research Centers. »Wir müssen uns öffnen, unsere Positionen ständig hinterfragen. Aus uns selbst heraus geschieht das nicht in dem Maße, in dem das notwendig ist in einer sich ständig ändernden Welt. Und genau da muss Universität ansetzen«, sagt er.
Aber auch die Universitäten würden von der Nähe zu den Firmen profitieren - davon ist jedenfalls Rik De Doncker überzeugt, der Direktor des E.on Energy Research Centers: »Spitzenergebnisse in Fachpublikationen zu veröffentlichen kann uns doch nicht genug sein. Wir wollen unsere Forschungsergebnisse auch in neue Produkte umgesetzt sehen.«
Andrea Frank vom Stifterverband betont, dass die Hochschulen in öffentlich-privaten Kooperationen ihre Forschungsinteressen fest im Blick haben müssten. Denn wenn ein Unternehmen ins Haus komme, bestehe automatisch ein Grundkonflikt: Forscher möchten ihre Erkenntnisse veröffentlichen und damit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft glänzen; Unternehmen möchten Geld verdienen, also die neuen Erkenntnisse zunächst für die eigene Produktentwicklung nutzen. Ratsam sei es, sagt Frank, diese Interessengegensätze zu Beginn der Kooperation offen anzusprechen und vertraglich so festzulegen, dass Fragen des geistigen Eigentums für beide Seiten zufriedenstellend geregelt sind. »Und wenn dies nicht gelingt, dann sollte eine Universität auch den Mut haben, auf die Kooperation zu verzichten.«
Für junge Naturwissenschaftler ergibt sich daraus eine größere Nähe zur Industrie. Nach Ansicht von Dietrich Nelle vom Bundesministerium für Forschung und Entwicklung kann das ein Vorteil für die weitere Karriere sein. »Die Verzahnung nimmt immer mehr zu, und diese Flexibilität erleichtert die Karrierechancen«, sagt er. In beide Richtungen bleibe der Weg zurück künftig immer öfter offen. Diesen Trend will die Politik nun noch verstärken. Im Mai hat die Regierung den Entwurf für ein »Wissenschaftsfreiheitsgesetz« verabschiedet, das vor allem in außeruniversitären Einrichtungen wie der Max-Planck- oder der Fraunhofer-Gesellschaft Regularien abbauen soll.
Molekularbotaniker Brennicke freut sich über die Entwicklung: »Nur ganz wenige meiner Studenten werden einen Platz in der universitären Forschung finden. Doch um in einem Unternehmen klarzukommen, müssen sie auch unternehmerischer denken. Je früher sie diese Welt kennenlernen, umso besser."
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