"Unser Trikot ist ein Affront"


Fußballgucken mit der afghanischen Frauennationalmannschaft, für die Fußball nicht nur Sport ist, sondern ein Kampf um die Rechte der Frauen

Es ist kurz vor neun, als die deutsche Mannschaft in Durban zum ersten Mal den Ball erobert. In diesem Hotel in Berlin-Kreuzberg stehen in diesem Augenblick fünf Paraguayerinnen am Tresen der Hotelbar. Am Tisch davor sitzen die Spielerinnen aus Sambia, während die Frauen des "Peace-Teams" aus Israel und Palästina draußen gemeinsam essen. Nur die afghanische Frauennationalmannschaft ist nirgends zu finden. Dabei bin ich hier mit ihr verabredet, um das WM-Halbfinale zu gucken. Auf dem Sportplatz nebenan findet Discover Football statt, nicht bloß ein Turnier sondern ein Frauen-Fußball-Kultur-Festival. Dazu wurden Frauenmannschaften aus aller Welt eingeladen, auch die Afghaninnen. Aber jetzt sind sie weg.

War das zu viel Rummel für die jungen Spielerinnen, von denen einige zum ersten Mal in einem westlichen Land sind? Anruf bei Ali Askar Lali, der einst in der Oberliga für Paderborn spielte und nun das Frauenteam betreut. "Wir sind im Hotel, kommen Sie doch rauf", sagt er freundlich. Im Fahrstuhl kommen mir Zweifel: "Trete ich den Frauen nicht zu nahe?", denke ich mir, viele haben mich vorher davor gewarnt. Gerade als Mann müsse ich vorsichtig sein, hieß es. Ich habe lange überlegt, ob ich den Spielerinnen die Hand geben darf oder nicht. Und jetzt komme ich zu ihnen aufs Zimmer.

Als sich die Fahrstuhltür öffnet, empfängt mich ein Lautgemisch aus Fernsehfußball und Mädchengekicher. Die Zimmertür steht weit offen. Ich gehe hinein und sehe die Mannschaft, die sich auf Boden und Bett gelümmelt hat, während Lali und Trainer Waludullah Waludi auf den Stühlen sitzen. Klassenreisenatmosphäre. Die Trainer begrüßen mich herzlich. Die Frauen, keine ist viel älter als 20, lächeln mich kurz an und schauen dann wieder auf den Fernseher. Einige sind geschminkt, andere nicht, zwei tragen Kopftücher. Zwei haben sich an Kopfkissen festgekrallt, eine kaut auf den Nägeln.

Als Puyol zu seinem ersten Kopfball in Hälfte eins ansetzt, ertönt ein spitzer Schrei. Die Spielerinnen diskutieren lebhaft und, für meine westlichen Ohren, in irrwitziger Geschwindigkeit untereinander. Manchmal sagen die Trainer etwas, obwohl sie auf ihren Stühlen thronen immer auf Augenhöhe mit den Frauen. Auf Özils Fall im Strafraum kurz vor der Halbzeit folgt ein wildes Stimmengewirr.

Wie absurd meine erste Scheu war, wird mir in der Pause bewusst. Bei Tee und Nüssen erzählen die Frauen mir und meiner Dolmetscherin von der Kälte und der Dunkelheit, wenn es zu Hause mal wieder keinen Strom gibt. Von dem donnernden, grollenden Knall, wenn mal wieder eine Bombe hochgeht.

Aber vor allem erzählen sie von den hundert und mehr Kilometern, die viele auf sich nehmen, um zur einzigen Trainingsmöglichkeit zu gelangen, einem Grasdreck-Platz hinter den hohen Mauern des Militärcamps der Isaf-Friedenstruppe in Kabul. Wie sie selbst von den eigenen Verwandten wegen des Fußballs geächtet werden. Wie sie täglich darum kämpfen, den Sport, den sie lieben, ausüben zu können. Und die sollen vor mir Angst haben?

Einen Kulturschock erleben sie hier auch nicht mehr. Viele sind bereits zum fünften Mal in Deutschland, das die Entwicklung des afghanischen Sports mit insgesamt 200.000 Euro jährlich unterstützt. "Wenn wir hier sind, sehen wir das als Ansporn dafür, wie es eines Tages auch bei uns laufen könnte", sagt Khalida Popal. Die 23-Jährige, die ihr Haar zu einem langen Zopf geflochten hat, ist sich darüber im Klaren, dass sie als afghanische Fußballspielerin zugleich eine Vorkämpferin für die Frauenrechte sein muss. "Für viele ist das ja schon ein Affront, dass wir ein Trikot anhaben. Es ist ein ständiger Durchsetzungskampf, aber den kämpfen wir im Team gemeinsam. Wir wollen allen Frauen zeigen, dass es irgendwie geht."

Aber wer will schon ständig kämpfen, manchmal wollen sie nur genießen. Hier im Hotel können sie es, man merkt ihnen an, wie gut es ihnen tut. Die Frauen lachen viel, umarmen sich gegenseitig, bewerfen einander mit Kissen. Keiner hat etwas dagegen. Auch nicht Trainer Waludi. Der gehört zu den größten Bewunderern seines Teams. "Was die unter diesen Bedingungen zu Hause erreicht haben, ist unglaublich", sagt der 35-Jährige. Ob er oft angefeindet werde, weil er als Mann Frauen trainiert? Er weicht aus. Natürlich gebe es in Afghanistan noch viele Männer, die ihre Frauen am liebsten hinterm Herd sehen. Aber er sei zuversichtlich, dass sich mit der besseren Bildung deren Zahl stetig verringere. "Das kann man im Sport gut sehen, jetzt gibt es schon in 20 von 32 Provinzen Frauenmannschaften", sagt er. Seine eigenen zwei Töchter würde er nicht davon abhalten. "Die können machen, was sie wollen."

Im Zimmer halten die meisten zu Deutschland. Als Puyol seinen Kopfball versenkt, trübt das die ausgelassene Stimmung aber nur kurz. "Spanien war einfach besser, jetzt werden die auch Weltmeister", urteilt Popal nach dem Schlusspfiff. Darüber sind sich im kurzen Gespräch nach dem Spiel alle einig. Dann verteilen sie sich schnell auf die Zimmer. Morgen beginnt das Turnier, da müssen sie fit sein.

Als ich mit der Dolmetscherin Maryam Alekozai, einer 28-jährigen Exilafghanin, auf den Lift warte, kommt die 20-jährige Zarah Mahmoodi noch einmal aus ihrem Zimmer. Ob sie in Berlin und allein lebe, fragt sie die Dolmetscherin. Als diese bejaht, seufzt Mahmoodi auf. "Mann, du hast es gut."

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die tageszeitung
09/07/2010

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