Das Sinngewitter
Die Arbeitswelt steht vor einem radikalen Umbruch. Die Beschäftigten hinterfragen zunehmend den Sinn ihrer Tätigkeit. Wer als Unternehmen darauf keine Antwort liefert, wird im Kampf um die besten Köpfe verlieren und untergehen
enorm-Magazin (Titelgeschichte)
Februar 2013
Das Frauengefängnis auf der Insel Hahnöfersand im Westen Hamburgs ist ein ungewöhnlicher Ort, um sich frei zu fühlen. Doch hier, in dem von Metallzäunen und den Fluten der Elbe doppelt umschlossenen Backsteingebäude, hat Manuela Maurer etwas gefunden, was ihr immer schmerzlicher gefehlt hat: eine Arbeit, in der ihre Fähigkeiten voll zum Tragen kommen; für die sie sich nicht nur interessiert, sondern brennt; mit der sie das Gefühl hat, etwas für die Menschen und die Gesellschaft zu tun – eine Arbeit, die ihrem Leben Sinn gibt.
Seit gut zwei Jahren bringt Manuela Maurer inhaftierte Frauen mit Welpen zusammen, die sie zu Blindenhunden ausbilden sollen. Das bedeutet, dass ein Hund seine Ausbilderin neun Monate lang auf Schritt und Tritt begleitet. Er muss das gewohnt und außerdem bestens erzogen sein, um später blinden Menschen den Alltag zu erleichtern. Unter Anleitung einer Hundetrainerin schulen und pflegen die Frauen die Hunde – ohne Pause. Viele lernen wieder oder zum ersten Mal, was es heißt, für ein anderes Lebewesen verantwortlich zu sein. Aber auch, wie es sich anfühlt, bedingungslos geliebt zu werden. Nach den neun Monaten sollen die Hunde Menschen helfen, deren Freiheit auf andere Art eingeschränkt ist. Viele Blinde könnten ohne einen speziell geschulten Hund so gut wie nie aus der eigenen Wohnung.
„Hundebande“ hat Manuela Maurer, eine große, schlanke Frau, die ihr langes, kastanienbraunes Haar stets offen trägt, das Projekt genannt. Dass ihre Suche nach dem Sinn bei Hunden enden würde, wundert die 44-Jährige noch heute ein wenig. „Ich habe ja nie einen gehabt.“ Doch die Idee mit den Welpen und den Frauen in Gefängnissen hatte sich irgendwie festgesetzt in ihr, seit sie vor Jahren in New York gesehen hatte, wie gut das funktionieren kann. Damit sie als Leiterin des Projekts genau weiß, worauf es dabei ankommt, bildet sie gerade selbst einen Hund aus. Die Labrador-Hündin Cäthe weicht nicht mehr von ihrer Seite. Das erinnert Maurer ständig daran, warum sie macht, was sie macht. Warum sie vor zwei Jahren den sicheren, gut bezahlten Job in der renommierten Werbeagentur Kolle-Rebbe gekündigt hat. Und warum sie sich stattdessen mit allem, was sie hat, in diese Idee geschmissen hat.
Dabei ging es ihr in der Agentur, in der sie sechs Jahre lang arbeitete, gar nicht so schlecht. Ein bisschen zufällig ist die gelernte Sozialpädagogin da hineingeraten. Am Empfang fing sie an. Bald wurde ihr Talent entdeckt und gefördert, aus dem Nebenjob wurde eine Karriere. Statt in ihrem jetzigen kleinen Büro am Fernsehturm saß sie in den mondänen Räumen der Agentur in der Speicherstadt. Statt sich um
Hundefutter und die Probleme von aus der Bahn geratenen Frauen zu kümmern, hantierte sie mit Millionenetats. Mit ihren Vorgesetzten und ihren Kollegen verstand sie sich gut. Doch etwas fehlte immer. „Ich hatte das Gefühl, dass ich so etwas wie einen Topf mit Sinn in mir trage. Davon schwappte immer mehr heraus, und irgendwann war der Bodensatz sichtbar“, sagt Maurer. Gekämpft hätten die Agenturchefs um sie, als ihre Zweifel immer deutlicher hervortraten. Aber irgendwann ging es nicht mehr: „Werbung macht die Welt nicht unbedingt schlechter. Aber auch nicht besser. Das kann es doch nicht sein“, sagte sie sich. Und ging.
Aussteigerinnen wie Manuela Maurer galten lange wahlweise als „idealistische Spinner“ oder als „zu weich“ für die deutsche Arbeitswelt, auch wenn einige Kollegen sie vielleicht insgeheim bewundert haben. Die Unternehmen machten sich keine großen Sorgen. Die Mehrheit der Mitarbeiter hatte man ja unter Kontrolle. Meist mit mehr oder weniger zivilisierteren Formen der seit jeher bewährten „Zuckerbrot und Peitsche“-Methode. Politisch hieß das dann „Leistung muss sich lohnen“. Wer viel und produktiv arbeitete, bekam mehr Geld, größere Büros, tiefere Teppiche. Wer nicht mitzog, wurde von autoritären Führungskräften auf Linie gebracht.
Infrage stellten diese Methoden schon in den 1950er Jahren US-amerikanische Management-Professoren wie Douglas McGregor, Frederick Herzberg oder W. Edwards. Sie bezeichneten Dinge wie Gehalt, Arbeitsbedingungen und -sicherheit als extrinsische, also von außen angeregte Faktoren. Deren Abwesenheit würde zwar Unbefriedigung verursachen, ihr Vorhandensein aber keine echte Befriedigung. Für letzteres wären intrinsische, aus den Menschen selbst kommende Faktoren nötig wie Spaß an der Arbeit oder Selbstverwirklichung. Diese Gedanken entwickelten die Verhaltenspsychologen Edward Deci und Richard Ryan 30 Jahre später in Harvard zu ihrer „Theorie der Selbstbestimmung“: Wem nicht ständig reingeredet wird, wer das Gefühl hat, sein Potenzial entfalten zu können und wer sich mit den Vorgesetzten und Kollegen gut versteht, geht lieber zur Arbeit. Und macht einen besseren Job.
Auch in Deutschland predigen Beratergurus solche Theorien nicht erst seit gestern. Wirklich umgesetzt, da ist sich die Wissenschaft einig, haben sie nur wenige Arbeitgeber. Jetzt, so scheint es, werden sie zum Umdenken gezwungen. Egal ob man Umfragen, Ökonomen, Sozialforscher oder Personalchefs zu Rate zieht, der Befund ist klar: Menschen, die so denken und fühlen wie Manuela Maurer, sind keine Exoten mehr. Die Prioritäten haben sich verschoben.
Wenn man die Menschen fragt, was sie antreibt, dann kommt heraus, dass nicht etwa Geld die wichtigste Rolle spielt, sondern Faktoren, die man nicht in Euro oder in anderen Größen bemessen kann: Ein „kollegiales Umfeld“ oder ein „erfüllender Job“ (siehe Grafik auf Seite 20). Diese aber scheinen sie immer seltener zu finden, die Arbeitszufriedenheit sinkt kontinuierlich (S. 19). Eine emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber spüren die Wenigsten (S. 17).
Dass es vielen nicht gut geht, erlebt auch Jörg Pannenbäcker. Der Coach, spezialisiert auf Familienbetriebe, betreut Menschen aus allen Unternehmensebenen. Manche Klienten seien so frustriert, dass sie an Schlafstörungen leiden, Panikattacken haben. „Oft herrscht eine totale Unordnung mit unklaren Strukturen und falscher Zuordnung der Potenziale. Die einen sind unter-, die anderen überfordert. Die Prozesse stimmen einfach nicht“, sagt Pannenbäcker.
Das hat auch der Wirtschaftsjournalist Markus Albers festgestellt. In seinem Buch „Meconomy“ hat er zudem einen Trend aufgespürt: Viele seien nicht mehr bereit, diese Zustände hinzunehmen. Gerade die so genannten Digital Natives, technikaffin und polyglott, würden sich oft entscheiden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, um das zu tun, was sie mögen, schreibt Albers. Noch ist es eine kleine Bewegung, doch Albers ist davon überzeugt, dass sich ihr immer mehr Menschen anschließen werden.
Und es stimmt ja. Es gibt wohl wenige, die noch nicht mit diesem Gedanken gespielt haben, einfach zu gehen. Manchmal kommt es einem vor, als würde sich aus den zahllosen Köpfen der Frauen und Männer am Kaffeeautomaten in der Büroküche, im Auto an der Ampel während der Rush-Hour oder beim Blick aus dem Fenster in den Pendlerzügen eine einzelne riesige Gedankenblase bilden, in der steht „Was mache ich hier eigentlich?“
Nun kann man sich die Reaktion vorstellen, sollte man das den Zeitungsausträger fragen, während er sich morgens durch den Regen kämpft. Oder die Kassiererin im Supermarkt, wenn sie das Gurkenglas über den Scanner zieht. Dennoch scheint sich diese etwas diffuse Sehnsucht nach mehr Sinn zu verbreiten.
Einige Forscher und Journalisten machen die Wirtschaftskrise von 2008 dafür verantwortlich: Sie sei so tiefgreifend und erschütternd gewesen, dass Menschen das System an sich und ihr Wirken darin zunehmend infrage gestellt hätten. Eine überraschende Ergänzung liefert US-Wirtschaftsjournalist Daniel H.
Pink: die ungemein vielen 60. Geburtstage der Baby-Boomer-Generation. Diese bildet noch immer den Großteil der Arbeitnehmer in den meisten westlichen Staaten. Allein in den USA, schreibt Pink in seinem Bestseller „Drive“, wird noch bis 2024 alle acht Sekunden einer von ihnen 60. Und diese Marke sei für viele Anlass, die großen, oft schmerzlichen Midlife-Crisis-Fragen zu stellen: Wie habe ich eigentlich die letzten 25 Jahre gelebt? Wann werde ich tun, was wirklich etwas bedeutet? Und wie werde ich in Zukunft leben?
Doch diese Fragen sind manchmal schwierig zu beantworten. Etwa für einen Ingenieur, der sein Leben lang Abhandlungen über die Geschwindigkeiten von Scanner-Maschinen geschrieben hat. Oder für einen Berater, der seine gesamte Karriere der Implementierung kleiner Einsparungen in den Arbeitsabläufen von Regalpackern und Gabelstaplerfahrern gewidmet hat. Allein durch die Masse der 60-Jähri- gen, die ja noch zur Arbeit gehen und dort mit Kollegen über diese Dinge sprechen, würden auf die Unternehmen bald „ein Sinngewitter hereinbrechen, wie wir es noch nicht erlebt haben“, schreibt Pink.
Das Spannende ist, dass das Gewitter sich noch verstärken könnte – und zwar durch die Arbeitnehmer am gegenüberliegenden Alters-Pol. Denn die Nachwuchskräfte, die jetzt in die Wirtschaft drängen, stellen sich diese Fragen schon, bevor sie überhaupt mit der Arbeit angefangen haben. Die US-Ökonomin Tammy Erickson erforscht diese Generation der nach 1980 geborenen, die nicht umsonst das Label Y (vom englischen why, also warum) verpasst bekam.
Ericksons Erkenntnisse: Das Sicherheitsbedürfnis der Jüngeren ist nicht so ausgeprägt wie bei ihren Eltern, behütet sind sie im größerem Wohlstand aufgewachsen als jede Generation vor ihr. Von Geburt an kennen sie es nicht anders, als im Mittelpunkt zu stehen und in allen Belangen gefragt zu werden. Und sie wissen ziemlich genau, was sie wollen. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance ist ihnen wichtiger als ein hohes Gehalt. Führungsverantwortung oder ein Aufstieg in der Hierarchie sind für sie nicht mehr so erstrebenswert. Sie legen großen Wert auf Mitbestimmung und auf eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Zeit für die Familie muss drin sein. Flexible Arbeitszeiten wollen sie haben, zu Hause arbeiten und Sabbaticals einlegen können. Vor allem aber, so Erickson, geht es auch ihnen darum, etwas „Sinnvolles“ zu tun, im Großen oder im Kleinen: Für das Klima, die Gesellschaft, ihre Stadt, ihre Freunde oder für sich. Erickson bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Meaning is the new money“, Sinn ist das neue Geld.
So etwas wie das Manifest der Generation Y ist ausgerechnet an der Harvard Business School, der bekanntesten Kapitalismus-Kaderschmiede der Welt, entstanden. Angeblich angewidert von den Geschäftsgebaren der großen Finanzfirmen, die mit zur großen Krise führten, entwickelten MBA-Studenten dort den sogenannten MBA-Schwur, eine Art hippokratischer Eid. Darin steht: „In meiner Funktion als Manager diene ich in erster Linie dem gesellschaftlichen Gemeinwohl. Durch die Verknüpfung von Menschen und Ressourcen schafft ein Manager gemeinschaftliche Werte, die von einzelnen Individuen nicht hätten erbracht werden können. Deshalb werde ich einen Weg einschlagen, der langfristig den gesellschaftlichen Nutzen meines Unternehmens steigert.“ Bis heute haben sich Studenten an mehr als 300 Institutionen weltweit dem MBA-Schwur angeschlossen.
Eine PR-Maßnahme? Vielleicht. Doch spätestens wenn die kommenden Spitzenkräfte der Weltwirtschaft sich das gesellschaftliche Gemeinwohl auf die Fahnen schreiben, müssen sich die Arbeitgeber etwas einfallen lassen, um dem Sinngewitter standzuhalten. Noch ist es eine Minderheit der jetzigen Arbeitnehmer, die in die Selbstständigkeit flieht. Einige der über 60-Jährigen, die sich vermehrt die Sinnfrage stellen, mögen bald in Rente gehen. Aber zusammen mit der Generation Y sorgen sie dafür, das sich kein Unternehmen mehr leisten kann, diese Bedürfnisse zu ignorieren. Die Generation Y weiß nämlich eine Macht hinter sich, die die Wirtschaft schon immer gut verstanden hat: Die Macht der Zahlen.
Laut der Bundesagentur für Arbeit stehen heute knapp 45 Millionen Menschen in Lohn und Brot. Bis 2025 werden es nur noch 38,1 Millionen Personen sein. Prognosen verschiedener Institute sagen daher voraus, dass sich der Fachkräftemangel deutlich zuspitzt. Das Prognos-Institut veranschlagt bis 2030 eine „Fachkräftelücke“ von 5,2 Millionen Personen, davon 2,4 Millionen Akademiker. Das heißt: In Zukunft werden die Unternehmen um die jungen Talente buhlen müssen, einfach weil es nicht so viele von ihnen geben wird. Nun werden nicht alle bei einer NGO in Kenia arbeiten wollen. Doch Unternehmen, die beim Thema Sinn grobe Defizite aufweisen, haben schon bald echte Wettbewerbsnachteile.
Joachim Kugoth ist das längst klar. Er ist Personalvorstand beim Kommunikationsriesen Telefonica Deutschland. Sein Job ist es herauszufinden, wie die Generation tickt, wie man Nachwuchskräfte findet, umwirbt und ans Unternehmen bindet. Das fällt ihm vielleicht leichter als anderen, schließlich muss er bloß seine Kinder, 23 und 25 Jahre alt, fragen. „Und die haben mir gesagt, so einen Job wie den meinen, wo man immer so spät nach Hause kommt, würden sie nicht haben wollen“, sagt Kugoth. Deswegen weiß er, was zu tun ist. „Wir müssen Bedingungen schaffen, die es ermöglichen, dass auch die jungen Leute ihre Arbeit gern machen und dass sie das Gefühl haben, eine gute Work-Life-Balance hinzubekommen.“
Hört sich einfach an, aber wie schafft man das? Viele Unternehmen versuchen es da, wo es am schnellsten geht – und gestalten ihre Büros neu. Arbeitsplätze werden zu Erlebniswelten, Einzelzimmer werden durch Großbüros ersetzt und Wände durch Glasscheiben. Hinzu kommt eine endlose Kette an Maßnahmen vom gemeinsamem Frühstück über Firmenyoga bis hin zum Ausflug in den Wald zwecks Outdoortraining. Dadurch sollen die Mitarbeiter sich deutlich wohler fühlen. Oder soll vielleicht doch nur die Produktivität gesteigert werden?
Carmen Losmann hat sich für ihren Doku-Film „Work Hard – Play Hard“ in „modernen“ deutschen Büros umgeschaut – es ist eine Reise in die Endlosschleife des Optimierungs- und Nachhaltigkeitsgequatsches, die erschaudern lässt. Der Mensch, so der Tenor des Films, ist am Ende nur noch ein Diagramm in einer Software namens „Human Capital Management“. Das sieht im Film dann so aus: Männer, die sich aus Bäumen abseilen und mit verbundenen Augen durch einen unterirdischen Gang krabbeln. Die erst in eine Tröte pusten müssen, bevor sie Sätze sagen dürfen wie „Ich werde demnächst noch mehr und besser und verstärkt kommunizieren, um Prozesse und Aufgaben schneller und zielführender erledigen zu können, was am Ende heißt: mehr Umsatz.“
Aus Büros werden „nonterritoriale“ Arbeitsplätze, an denen weder private Fotos noch die eigene Kaffeetasse gestattet sind. Zur neuen Office-Philosophie gehört neben der totalen Transparenz auch der Zwang zum informellen Gespräch. Denn „zufällige, ungeplante Kommunikation“, so ein Designer, „sei für 80 Prozent der Kreativität eines Unternehmens verantwortlich.“ Also plant man eben das Unplanbare. Man muss nur in die Gesichter der Mitarbeiter schauen, die auf ihren orangefarbenen Stühlen herumsitzen, um diese Erlebniswelten in Zweifel zu ziehen.
Für den Chemnitzer Soziologen G. Günter Voß sind solche Konzepte „zum großen Teil Firlefanz“. Im Extremfall handele es sich um eine besonders perfide Form der Ausbeutung. Die Mitarbeiter sollten gar nicht merken, wie sie ausgepresst würden. „Wenn ich mich aber gut behandelt fühle, wenn der Arbeitsprozess so gestaltet ist, das ich mein Bestes geben kann, wenn ich nicht so viel arbeiten muss, dass es mich krank macht, dann ist es mir auch egal, wenn ich auf einem hässlichen, harten Stuhl sitze“, sagt Voß. Außerdem würde er den Verdacht nicht los, dass es sich bei den im Film beschriebenen Maßnahmen häufig um Kosmetik handele, um wahre Missstände zu kaschieren.
Einen ähnlichen Verdacht hegt Berater Jörg Pannenbäcker, wenn es um Leitbilder und Wertekodexe geht. Umso aufwendiger diese mit teuren Hochglanzbroschüren dargestellt würden, umso weniger stecke dahinter. „Da gibt es oft einen Riesenclash zwischen dem, was das Unternehmen nach außen zeigen will, und was die Personen innen erleben.“ Die Unternehmen machten, so Pannenbäcker, einen Grundfehler: Die Organisation an sich könne gar keinen Sinn stiften, der könne nur aus den dort arbeitenden Menschen selbst herauskommen. Wenn das nicht passiere, sei jeder Wertekodex nicht mehr als eine Hülle. Der Vorstand oder der Unternehmer habe die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass der Mitarbeiter Sinn findet.
Joachim Kugoth und Telefonica scheinen da einiges richtig zu machen. In der Rangliste von Great Place to Work – einer unabhängigen Einrichtung, die jährlich die Mitarbeiterzufriedenheit in deutschen Unternehmen untersucht – landet der Konzern regelmäßig auf den vorderen Plätzen. Vielleicht vor allem deshalb, weil Kugoth medienwirksam in zwei Sätzen sagen kann, worum es Telefonica geht. „Als Telekommunikationsunternehmen erreichen wir zahlreiche Menschen. Zum gesellschaftlichen Fortschritt koönnen wir deshalb auch viel beitragen.“
Diese Klarheit setzt sich beim sozialen Engagement fort. Einige Unternehmen schicken die Belegschaft im Rahmen von sogenannten Corporate-Volunteering-Programmen einmal im Jahr in Kindergärten, um dort die Wände zu streichen. Auch wenn die Firma weder Farbe produziert, noch die Mitarbeiter als gute Maler bekannt sind. Telefonica hat die Initiative Think Big gestartet. Dadurch haben die Mitarbeiter die freiwillige Möglichkeit, mit ihrem technischen Know-how Jugendliche bei Projekten zu unterstützen und mithilfe von digitalen Medien bekannter zu machen. Das trägt wiederum dazu bei, dass die Mitarbeiter sich ihrer Aufgabe immer stärker bewusst werden. Dass sie wissen, warum sie tun, was sie tun. Die Organisationsstruktur ergibt sich da ganz von alleine. Kugoth kann seinen Mitarbeitern so gut vertrauen, dass es „nicht entscheidend ist, ob sie ihre Arbeit Zuhause im Bett oder bei uns im Büro machen.“
In der Techniker Krankenkasse (TK) ist so etwas kaum vorstellbar. Die Büros in der Hamburger Zentrale würde kaum jemand als „Arbeitswelt“ bezeichnen. Alles ist gut in Schuss, aber Architekturpreise gewinnt man mit diesem Gebäude nicht. So ähnlich stellt man sich auch die Arbeit in einer Krankenkasse vor. Trotzdem gewinnt die TK immer mal wieder den Preis „Bester Arbeitgeber Deutschlands“.
Arndt Hoschke, auf dessen Karte Leiter Fachreferat Recruiting und Personalmarketing steht, zeigt zur Erklärung bloß auf ein Plastikmännchen in seinem Büro. Auf der schwarzen Silhouette eines Menschen, Prototyp eines der 11 000 TK-Mitarbeiter, werden dessen Charaktereigenschaften beschrieben. Der letzte Satz aber ist die Aufforderung: „Sind Sie das? Dann willkommen bei der TK“. Die Botschaft ist klar: „Hier arbeiten Leute, die so sind. Wenn Sie auch so sind, dann passen Sie hierher“. Hoschke ist bewusst, dass eine Krankenkasse mit angesagten Unternehmen wie Google oder BMW in Sachen Coolness nicht mithalten kann. Deswegen wuchert er beim Kampf um die Fachkräfte mit seinem größten Trumpf: Das Unternehmen identifiziert sich mit den eigenen Mitarbeitern, sie sind die Markenbotschafter des Unternehmens und werden auch so behandelt. „Wir haben das Glück, dass bei uns die Sinnfrage einfach geklärt ist“, sagt Hoschke, „bei uns geht es um die Gesundheit des Menschen.“ Um aber herauszufinden, was genau die Qualität der TK als Arbeitgeber ausmacht, befragten Hoschkes Kollegen die eigenen Mitarbeiter lange und intensiv. Gleichzeitig konnten die Personaler ihre Ziele nach innen darstellen. Das Ergebnis: Hoschke weiß jetzt genau, wie es seinen Mitarbeitern gerade geht. Und sie wissen genau, was das Unternehmen mit ihnen vor hat.
Anfang des Jahrtausends musste die TK über einen Zeitraum von sechs Jahren umstrukturieren und 7000 Plätze neu besetzen. So etwas kann leicht böses Blut geben. Ein Jahr später nahm die Krankenkasse zum ersten Mal beim Good-Place-to-Work-Wettbewerb teil. Und belegte den zweiten Platz. Demjenigen, der mal einen freien Kopf braucht, bietet das Unternehmen eine Wahl an: Durch Gehaltsverzicht kann man Zeitguthaben ansparen, die schnell für ein Sabbatical reichen oder zu einem früheren Rentenbeginn. „Wir erleben oft, dass Menschen nach einer Auszeit mit neuen, frischen Ideen ins Unternehmen zurück kom- men. Das nutzt dann allen“, sagt Hoschke.
Auch Manuela Maurer kam zurück. Denn so sehr sie auch für ihre neue Aufgabe brennt, leben kann sie davon nicht. Auf der anderen Seite hat sie gesehen, wie wichtig ihr in der Agentur erworbenes Wissen für ihre „Hundebande“ ist. Auf 350 000 Euro schätzt sie das Volumen, das das große Medieninteresse für die Hundebande generiert hat. Auch weil Stefan Kolle, Gründer von Kolle-Rebbe und ihr Chef, im Vorstand sitzt. Ohne Zögern bot er ihr eine Halbtagsstelle an. Manuela Maurer schlug zu. Vielleicht, bis der Geldtopf wieder voll und der Sinntopf wieder leer ist. /
© Constantin Wißmann