Krieg im Crashkurs

Wie die Bundeswehr in Hammelburg versucht, Reporter auf gefährliche Einsätze vorzubereiten.

Der Tagesspiegel
2. Februar 2010

In Rhönland ist Krieg. Ein zerklüftetes Land, rivalisierende Gruppen, mittendrin die Bundeswehr und Journalisten. Mit einer Gruppe von Reporter-Kollegen gehe ich an diesem kalten Dezembernachmittag durch ein Dorf, um Kontakt mit den Einheimischen aufzunehmen. Es ist mein erster Tag im Krisengebiet. Finster dreinblickende Gestalten stehen in kleinen Gruppen zusammen, verunsichert blicke ich umher und erwarte hinter jeder Ecke einen Hinterhalt. Plötzlich komme ich vom Weg auf eine Wiese ab, „halt!“ schreit ein Soldat und rennt auf mich zu. Ich bin auf eine Mine getreten. Sie hätte meinen Körper in Stücke zerrissen – wenn das hier alles kein Spiel wäre.

Ich befinde mich nicht im Krieg in einem fremden Land, sondern auf dem Gelände der Bundeswehrkaserne im fränkischen Hammelburg. „Schutz und Verhalten in Krisenregionen“ heißt das fünftägige Seminar, das ich mit 15 anderen Kollegen hier im Ausbildungszentrum der Vereinten Nationen absolviere. Für Krisen-Korrespondenten von ARD und ZDF ist der Kurs verpflichtend. Insgesamt haben 149 Journalisten im vergangenen Jahr daran teilgenommen. 400 Euro kostet die Teilnahme, als Journalistenschüler muss ich nur die Anreise bezahlen.

Mit theoretischen Vorträgen und aufwendigen Rollenspielen versucht die Bundeswehr, eine Ahnung davon zu vermitteln, was nicht nur für Soldaten, sondern auch für hunderte Journalisten täglich blutiger Ernst ist. Weltweit 139 Medienmitarbeiter kamen 2009 bei der Ausübung ihres Berufs ums Leben, das gab die Internationale Journalisten-Föderation (IFJ) an diesem Montag in Brüssel bekannt, 2008 waren es 109. 114 Journalisten seien durch gezielte Anschläge getötet worden, 25 kamen bei Unglücksfällen ums Leben. Erst kürzlich starb der britische Reporter Rupert Hamer bei einer Bombenexplosion in Afghanistan.

Es war der Tod von deutschen Journalisten, der die Bundeswehr dazu veranlasste, das Seminar anzubieten: am 13. Juni 1999 waren die „Stern“-Reporter Gabriel Grüner, Volker Krämer und ihr Übersetzer Senol Aliti im Kosovo erschossen worden. Bald darauf fand das Bundeswehrtraining für Journalisten zum ersten Mal statt, mit dabei: RTL-Journalistin Jutta Bielig. Regelmäßig hat sie seitdem für den Kölner Privatsender aus Kriegs- und Krisengebieten berichtet. Und oft hat sie dabei an das Training in Hammelburg gedacht. „Das Seminar hat mir bewusst gemacht, dass man sich nie in Sicherheit wiegen sollte, dass ich in jeder neuen Situation neu bewerten muss, wie weit ich noch gehen kann, ohne mein Leben zu riskieren“, erinnert sie sich.

Genau das wollen die Soldaten vermitteln. „Dass Journalisten in Krisengebieten in brenzlige Situationen geraten, können wir natürlich nicht verhindern“, sagt Major Dirk Quadt, der das Seminar in Hammelburg leitet. „Wir können aber helfen, sich richtig vorzubereiten und lebensgefährdende Fehler zu vermeiden.“

Dass gerade Journalisten oft ihr Leben riskieren, kann ich nachvollziehen. Würde ich auf der Jagd nach der spannenden, exklusiven Geschichte wirklich alle Sicherheitsregeln beachten? Doch auf Heldentum kommt es in Krisengebieten nicht an, das lerne ich schnell. Wichtiger ist die akribische Vorbereitung sowie der Versuch, ständig wachsam zu sein, irgendwie den Überblick zu bewahren, selbst wenn es um einen herum ständig knallt und schreiende Menschen hin und her rennen. Die Bundeswehr simuliert das so realistisch, wie das eben geht, aber natürlich weiß ich immer, dass mein Leben nicht wirklich in Gefahr ist. Ich brauche nur „Exit!“ zu rufen, und alles ist vorbei.

Auch als ich mit gefesselten Händen und verbundenen Augen in irgendeinem Verschlag hocke. Ein immergleicher Musikbrei aus merkwürdigen, fremden Klängen fräst sich langsam in mein Gehirn und vertreibt klare Gedanken. „Geiselhaft, Stressbewältigung“, heißt diese Einheit am letzten Tag des Seminars, es ist die Königsdisziplin hier in Hammelburg. Wieder sind wir in einen Hinterhalt geraten und diesmal verschleppt worden. In welchem Raum ich bin und wie viele Menschen hier noch sind, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass meine Knie so stark schmerzen, dass mein ganzer Körper zittert. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen knie ich auf dem Boden, der Rücken kerzengerade. Sobald ich einsacke, gibt es einen metallenen Stoß in den Rücken, „Don’t move!“, sagt einer der Entführer. In regelmäßigen Abständen zwingen sie mich, eine neue, noch unbequemere Haltung einzunehmen. „Bitte, bitte, nicht noch mal auf die Knie!“, fleht neben mir eine Frau. „Shut the fuck up!“, ist die Antwort. In der Realität hätte sie mit dieser Reaktion Glück gehabt. Bloß nicht auffallen in so einer Situation, das hat uns Seminarleiter Quadt noch am Morgen eingebläut. Und keinen Widerstand leisten. „Helden spielen geht meistens tödlich aus, man sollte seinen ganzen Mut zusammennehmen, um nicht mutig zu sein“, sagt Quadt.

Was er damit meint, verstehe ich, als ich hinausgezerrt werde. Die Treppe hoch in einen anderen Raum, hier soll ich mich wieder hinknien. Dann nimmt jemand die Augenbinde ab, vorsichtig schaue ich nach oben. Vor mir sitzt ein maskierter Mann mit einem Messer in der Hand, der mir Zigarettenrauch ins Gesicht bläst. Das Verhör beginnt. Er fragt mich, wie lange ich hier sei, ich will ihm ehrlich antworten, aber es fällt mir beim besten Willen nicht mehr ein. Dann brüllt er los. Ich wäre ein Lügner und würde unfair über den Konflikt berichten. Ich versuche, mich auf meinen neutralen Status als Journalist rauszureden – keine Chance. Ich soll einen Wisch unterschreiben, dass ich Zeuge war, wie UN-Soldaten Kinder misshandelt haben und dass ich selbst daran beteiligt war. Dann soll ich alles in eine Kamera vorlesen. Nach kurzem Zögern fange ich an. Mein Gegenüber muss nur kurz mit dem Stuhl rücken, schon zieht mein Körper sich wie eine Regenwurm zusammen. Eine Kollegin erzählt mir später, dass sie sich erst geweigert habe. Da hätten die Entführer gedroht, einem nach dem anderen aus ihrem Team abzustechen.

Das Verhör habe ich überstanden, jetzt geht es wieder in den Raum mit der nervtötenden Musik und den unbequemen Sitzhaltungen. Doch das ist viel besser, mit körperlichen Schmerzen kann ich umgehen. Die ganze Zeit bange ich, dass ich noch mal zum Verhör geholt werde. Nach drei Stunden höre ich energische Schritte ins Zimmer kommen. „Übungsende!“ ruft der Entführer.

© Constantin Wißmann