Pizza Chef

Der Gastronom Florian Sinnig hat schon immer auf die italienische Karte gesetzt. Jetzt will er Italia Berlino aus der Kreisliga bis in
den Profifußball führen. Viele halten ihn für einen Spinner, aber das Verrückte ist, dass die Ergebnisse bislang stimmen


11 Freunde
November 2009

Der Bratwurstverkäufer hat eigentlich perfekte Bedingungen. Ein Fußballspiel, ein eisig kalter Herbstabend, mehr als tausend Menschen, darunter viele Familien mit hungrigen Kindern. Doch das Geschäft geht eher schleppend im Stadion Lichterfelde tief im Westen Berlins, nur wenige entscheiden sich heute für Wurst. Nebenan am Pizzastand reißt die Schlange nie ab. In Akkordarbeit schieben vier Leute Funghi, Prosciutto oder Margarita in den großen Ofen. Heute spielt Italia Berlino, der einzige italienische Verein der Hauptstadt, und der Wurstverkäufer hat einen entscheidenden Nachteil. Seine Ware kostet 2,50 Euro, die Pizza nichts. Überhaupt sind viele nur wegen ihr gekommen. Auf dem Platz geht es gegen den Berliner SC zwar um die Tabellenführung, aber nur in der Landesliga - und das reißt in der Hauptstadt sonst kaum jemanden vom Hocker.

Dass das bei Italia anders ist, das liegt an dem Mann, der ganz unten auf der Steintribüne steht und nervös von einem Bein auf das andere wippt. Florian Sinnig ist seit zwei Jahren Präsident des Vereins und heute geht es um viel, fast um alles. Natürlich für den Klub, aber auch für ihn, für seine Reputation, seine Glaubwürdigkeit. Es geht darum, dass weniger Leute als bisher den 43-Jährigen für einen Spinner halten. "Wir wollen in die Bundesliga" hat Sinnig vor einem Jahr angekündigt. Da war der Verein gerade von der Kreis- in die Bezirksliga aufgestiegen. Klar, dass ihn alle für verrückt erklärt haben. Das Irritierende ist, das Italia seit Sinnigs Amtsantritt zweimal aufgestiegen ist, jetzt so hoch spielt wie noch nie und auch in der Landesliga vorn dabei ist. Der Klub liegt also im Soll. Hinzu kommt: Florian Sinnig hat in seinem Leben bisher alles erreicht, was er sich vorgenommen hat. Italienisches Essen hat dabei immer eine wichtige Rolle gespielt.

Zum Gespräch empfängt Sinnig in die "Osteria Maria", sein "Privatrestaurant" wie er es nennt. Dort, in Berlin-Steglitz, sieht es ein bisschen so aus, wie man sich die prunkvollen Gemächer der Medici heute eben so vorstellt: schwere dunkle Holzverkleidung, Regalen voller Weinflaschen, an der Decke bunte Fresken. Gleich vorne an sitzt der Inhaber, der mit seinen grauen Haaren, der gebräunten Haut und der schwarzen Designer-Brille auch glatt als Italiener durchginge. Während des fünf-Gänge-Menüs steht er immer wieder auf und begrüßt Männer in dunklen Anzügen und aufwendig zurechtgemachte Frauen, einige setzen sich kurz an seinen Tisch, zwischendurch taucht seine Gattin oder eines seiner fünf Kinder auf. Florian Sinnig ist hier ein kleiner König. Dafür hat er jeden Tag 18 Stunden gearbeitet, seit er mit 26 - nach seiner Ausbildung zum Koch und einer Banklehre - sein erstes eigenes Restaurant gründete. Inzwischen führt er außer der Osteria drei Pizzerien. Die sind fast immer voll, und Sinnig könnte sich zurücklehnen. Aber das konnte er noch nie.

Stattdessen suchte er nach anderen Möglichkeiten, seine überbordende Energie zu kanalisieren. "Es ist für mich eine Art Therapie, das was ich haben möchte, nicht morgen bekommen zu können", sagt er. Sein Weg in den Sport begann beim Wasserball. Der SC Spandau wurde zwar stets deutscher Meister, erreichte aber nur 30 Zuschauer. Sinnig machte die Spiele zum Event, mit Pizza und Wein im Kerzenlicht. Da kam sogar Bürgermeister Klaus Wowereit, der Schnitt stieg um mehr als das zwanzigfache. Doch damit war das Potenzial auch erschöpft und die Sache verlor ihren Reiz. An Fußball hatte er nie gedacht, bis ihm einer seiner Lieferanten sein Leid an Italia Berlino klagte. Die Mannschaft in die Kreisliga abgestiegen, die meisten Spieler davongelaufen, die Glaubwürdigkeit des 1980 aus fünf Spielgemeinschaften hervorgegangen Klubs ruiniert. Sinnig begreift schnell: Hier kann er nochmal etwas von ganz unten aufbauen, was außerdem mit seiner großen Liebe zu Italien zu tun hat. Er, der italienisch isst, zwei knallrote Cinquecento fährt und seinen Urlaub in seiner Wohnung auf Sardinien verbringt, könnte einen italienischen Fußballklub führen. Klar, dass er da nicht lange fackelte.

Er ging sein großes Adressbuch durch, fragte jeden, den er kannte, nach guten Fußballern und hatte innerhalb von zwei Wochen eine neue Mannschaft zusammen. Die spielte zum Auftakt der Saison 2006 im Pokal gegen den Landesligisten SC Gatow. Sinnig lud alle seine Restaurantgäste ein und überredete seine Lieferanten, Stände aufzubauen und italienische Spezialitäten kostenlos zu verteilen. Es wurde Italias Sommermärchen. 1500 Leute kamen, der drei Klassen höher eingestufte Gegner wurde mit 6:1 vom Platz gefegt. Und Florian Sinnig begann vom Profifußball zu träumen. "Ich weiß, dass die Chance dazu bei einem Prozent liegt. Die will ich nutzen."
Das Fanpotential: 500 000 Italiener,
die in Deutschland leben

Sein Kapital sind die 15000 Italiener, die in Berlin leben. Davon will Sinnig möglichst viele für den Club Italia begeistern und damit große Sponsoren wie Barilla oder Fiat anlocken. Es wäre der erste Minderheitenverein, dem das gelingt. Die haben gerade im Berliner Fußball zwar Tradition, aber wenig Erfolg. Mit Abstand am besten steht Türkiyemspor, in der Regionalliga-Nord. Aber obwohl 200.000 Berliner türkischstämmig sind, spielt der Verein meist vor wenigen hundert Zuschauern. Für Sinnig kein abschreckendes Beispiel."Türkiyemspor hat sich sein Potenzial selbst versaut, bei den Juden von Makkabi ist immer Bombenalarm, die Russen gucken lieber Eishockey und Spanier oder Portugiesen gibt's zu wenige. Bleiben die Italiener. Wenn nur die 400 Restaurantbesitzer auf meine Seite kriege, habe ich schon 400 Außenstellen, davon kann etwa Hertha nur träumen." Und wären die hiesigen Italiener erst einmal überzeugt, würde auch ein Großteil der 500.000 im übrigen Deutschland folgen. "Das ist ein riesiger Markt, die italienische Wirtschaft wäre doch dumm, da nicht zu investieren", sagt Sinnig. Dazu kämen die Deutschen, die die italienische Lebensart so schick finden, die, wie er es auf den Punkt bringt, "Pizza und Wein lieber mögen, als Bockwurst und Bier."

Wirklich wasserfest klingt diese Analyse nicht, aber Sinnig hat ja noch den Glauben an die eigene Stärke. Und der ist unerschütterlich. "Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, glaube ich daran. Ich gehe jeden Nacht damit schwanger, und überlege, ob das wirklich geht. Und ich stehe ich jeden Morgen auf und sage: 'Es ist alles möglich'". Von Fußball versteht er wenig, das gibt er zu. Er wisse zwar, was ein Sechser ist, die Feinheiten im Spiel jedoch könne er kaum erkennen. Aber das sei auch nicht nötig, um einen Verein zu führen. "Ich glaube ich kann das genauso gut wie andere in der Bundesliga", sagt Sinnig, "es werden ja auch ganz viele Fehler gemacht. Gerade bei Hertha kann man ja sehen, was da für traurige Sachen passieren. Ob ich hundert Euro zur Verfügung habe oder zehn Euro, mit meinem Geld muss ich haushalten. Warum soll ich das nicht besser machen?"
Sinnig ist kein Milliardär wie Hopp,
er kann nichts erzwingen

Doch wer den Erfolg seines Projekts so eng mit seiner eigenen Person verknüpft, hat natürlich auch ein Problem. Sinnig weiß genau, dass sein Traum seine gesamte Glaubwürdigkeit in dem Moment verliert, wo er selbst nicht glaubwürdig erscheint. Und natürlich spürt er die Zweifel, auch im eigenen Verein. Sucht dieser Emporkömmling nicht nur ein neues Feld, um seine Eitelkeit zu stillen? Was ist, wenn der Erfolg ausbleibt, verliert er dann die Lust?Und bei aller zur Schau getragenen Italienliebe. Was soll das überhaupt, ein Deutscher, ein tedesco an der Spitze eines italienischen Vereins ? Verliert Italia Berlino seine Identität?
Sinnig kann noch so oft beteuern, dass er nur noch für den Club Italia lebe, dass er überlegt habe, sich das Vereinsemblem in den Arm zu tätowieren, letztendlich helfen gegen die Zweifler nur Resultate. Die kann er nicht erzwingen, er ist kein Milliardär wie Dietmar Hopp in Hoffenheim, die Spieler verdienen nicht viel mehr als anderswo. Also tut er, was er kann, um beste Bedingungen zu schaffen. Über seine Kontakte holt er Ex-Nationalspieler Fredi Bobic in den Vorstand und einen Hauptsponsor auf das Trikot. Er lässt Hunderte Vereins T-Shirts drucken Er läuft 600 Kilometer durch Berlin, um Medieninteresse zu generieren. Und er lockt mit seinen Pizzen und freiem Eintritt die Zuschauer ins Stadion.

Dieser unbedingte Wille, etwas zu bewegen, scheint sich auch auf die Mannschaft zu übertragen. Wo sonst in der Landesliga feuern einen manchmal mehr als tausend Fans an? "Ich wäre zu keinem anderen Team gewechselt", sagt Kapitän Vittorio Mattera-Iacono, einer von derzeit sechs Italienern im Kader. Er kam von Union Berlin aus der Regionalliga. "In den unteren Ligen wollen viele nur ein bisschen kicken und dann gucken, wo sie stehen. Hier ist richtig Zug drin."

Das ist auch im Stadion Lichterfelde zu spüren. Italia beherrscht den Berliner SC von Beginn an, spielt gefällig nach vorn, aber Tore bleiben bis zur Halbzeit aus. Florian Sinnig wird immer unruhiger, zieht einen Zigarillo nach dem anderen durch. Denn berühmte Vorstände und viele Zuschauer sind schön und gut, noch besser sind Ergebnisse. "Solange ich es immer wieder schaffe und wir immer wieder oben stehen, kann ja keiner was sagen", sagt er. Immerhin, der Respekt unter den Italienern wächst. Etwas weiter oben auf der Tribüne steht Andrea Bozzi, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt und sei vier Jahren für Italias Alte Herren spielt. Hier findet er ein Stück Heimat. "Sinnig hat bisher alles gehalten, was er versprochen hat, er ist absolut der richtige Mann für uns", sagt er. Wie um seine Worte zu bekräftigen, fällt kurz danach das erste Tor für Italia. Am Ende gewinnt der Klub mit 2:0 und ist damit Tabellenführer. Die Zuschauer jubeln, aber Florian Sinnig bleibt ruhig. Gleich nach dem Schlußpfiff hilft er, die riesigen Banner mit dem Forza Italia Schriftzug abzuhängen, legt sie sorgfältig zusammen. Der bisher größte Erfolg von Italia Berlino soll ja nur ein Etappenziel sein. Ein Lächeln kann er sich aber nicht verkneifen. "In zwei Jahren, wenn die mich in die Oberliga schießen, dann drehe ich richtig durch."

© Constantin Wißmann