Warten auf den Steiner-Effekt

Nach seinem Olympiasieg wurde Matthias Steiner zum Darling der Medien. Die anderen Gewichtheber stoßen aber weiterhin auf wenig Interesse. Ein Besuch im Herzen der Szene.

Frankfurter Allgemeine Zeitung
03. Februar 2009

LEIMEN. Wenn Matthias Steiner nicht gerade bei Johannes B. Kerner am Tisch oder auf dem Sofa von Thomas Gottschalk sitzt, hält er sich meistens in Leimen auf. Dort lebt und trainiert er im Herzen der deutschen Gewichtheberszene, dem Bundesleistungszentrum. Nur ein paar Kilometer entfernt trägt der Verein Germania St. Ilgen seine Wettkämpfe aus. So auch am Samstag, als der Tabellenführer der Bundesliga Mitte zum Start nach der Winterpause den Tabellenletzten VfL Duisburg-Süd empfing. Ein Sieg war Pflicht für die Leimener auf ihrem Weg zum Finale um die deutsche Meisterschaft.

Doch selbst im verschlafenen Stadtteil St. Ilgen ist das Interesse eher mäßig. Am Bahnhof feiern einige den Sieg der Hoffenheimer Fußballer, und viele genießen die Höhepunkte vermutlich vor dem Fernseher, als in der Aegidiushalle die startenden Heber vorgestellt werden. 180 Zuschauer haben sechs Euro bezahlt, um an den wie in einem Bierzelt aufgestellten Tischen unter zwei riesigen Kronleuchtern Platz zu nehmen. Vereinsvorstand Bernd Bögerding ist dennoch zufrieden: "Früher wären bei einem Wettkampf gegen den Tabellenletzten vielleicht 30, 40 Leute gekommen." Früher, das heißt im Gewichtheben vor Steiners Olympiasieg. "So etwas hat es bei uns noch nie gegeben", sagt Bundestrainer Frank Mantek. Steiner wurde "Sportler des Jahres" und gewann sogar den "goldenen Sport-Otto" der Jugendzeitschrift "Bravo". Eine Initialzündung, die das Gewichtheben aus dem Status der absoluten Randsportart herauskatapultiert? Kann Steiner für seine Sportart das sein, was Boris Becker für das Tennis war, Fabian Hambüchen für das Turnen ist?

In der Aegidiushalle ist davon wenig zu spüren. Der Hallensprecher gibt sich redliche Mühe und stellt die Heber zu den rockigen Klängen von AC/DCs "Thunderstruck" vor. Doch oft kommt die Musik zu spät oder zu früh, und spätestens bei der Begrüßung zweier Stadträte ist die gemütliche Ortsvereins-Stimmung zurück. Seine Fachkenntnis beweist das größtenteils ältere Publikum durch die absolute Stille vor den Versuchen der Heber. Für Laien ist der Wettkampf schwer zu verfolgen, anders als bei Olympia setzt sich die Punktzahl eines Hebers aus dem gehobenen Gewicht abzüglich seines Körpergewichts zusammen.

Allgemein hat sich das Interesse an Steiners Person zwar immens gesteigert, an seinem Sport aber kaum. "Das liegt weiterhin bei höchstens 0,3 Prozent, ein ,Steiner-Ausschlag' ist nicht bemerkbar", sagt Hartmut Zastrow, Vorstand des Marktforschungsinstituts "Sport + Markt". Mit Gewichtheben hätten die Menschen im Alltag kaum Kontakt, und es sei schwer fassbar. Den elementaren Unterschied zwischen Reißen und Stoßen etwa begriffen die wenigsten. "An Steiner fasziniert die berührende Geschichte seiner verstorbenen Frau und sein gewinnendes Wesen. Aber er könnte genauso gut Judoka sein."

Dazu kommt ein Imageproblem. Weil die Kraft so wichtig ist, glauben viele, dass Gewichtheber eher dopen als andere. Und ästhetisch können die bekannten Gesichter mit den meisten anderen Sportlern auch nicht mithalten. Für Jürgen Spieß, Neunter bei Olympia und so etwas wie der Star bei St. Ilgen, der Grund, warum nur wenige Jugendliche mit Gewichtheben anfangen. "Die Leute sind von Steiner zwar fasziniert, aber wer will schon, dass sein Kind wie er 150 Kilo wiegt", sagt Spieß. Dabei muss das gar nicht sein, wie sein Mannschaftskamerad Sergej Dundukov zeigt. Der 20 Jahre alte deutsche Juniorenmeister wiegt 68 Kilogramm, die sich gleichmäßig auf seinen drahtigen Körper verteilen. Und er liebt seinen Sport. "Die Adrenalinstöße, wenn ich ein Gewicht stemme, sind einfach geil." Dazu braucht es allerdings jahrelanges Training. "Viele Jugendliche sind vielleicht nicht bereit, sich zu quälen", sagt Dundukov, "das muss man aber, um die Technik zu erlernen."

Gegen Duisburg kann der grippegeschwächte Dundukov davon nur wenig zeigen. St. Ilgen gewinnt trotzdem mit 661:409 Punkten. In zwei Wochen beim direkten Verfolger KSV Durlach geht's nun um den Einzug ins Finale um die deutsche Meisterschaft. Gastgeber ist dieses Jahr der Gewinner der Gruppe Süd, und das wird wohl Steiners Heimatverein, der Chemnitzer AC, sein. Eigentlich wollte Steiner dort für seinen ersten Wettkampf nach Olympia von der Talkshow- auf die Gewichtheber-Bühne zurückkehren. Doch nach einer Leistenoperation muss er nun drei Monate pausieren. Davon ist auch seine Show-Karriere betroffen. Einen Auftritt in Kalifornien bei Arnold Schwarzenegger hat er abgesagt.

© Constantin Wißmann