Die Betroffenheit der Schnellfeuerschützen
Der Amoklauf von Winnenden ist für die Sportschützen „die größte Katastrophe“. Die Athleten wehren sich gegen den Generalverdacht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
17.03.2009
Vor der Sporthalle des Berufsschulzentrums Wiesbaden sind die üblichen Klänge zu hören. Das Trampeln und Quietschen energischer Schritte, die lauten Kommandos, der Ball, der gegen die Wand knallt. Handball oder Fußball wird da wohl gerade gespielt. Doch dann, auf einmal, fallen Pistolenschüsse. Grund zur Panik ist das aber nicht, das Schild an der Tür gibt Aufschluss: „Zur Schießanlage hier“.
Der alljährliche internationale Wettkampf der Schnellfeuerschützen hat auch am vergangenen Wochenende wieder die Weltelite nach Wiesbaden gelockt. Er gilt als erste Standortbestimmung der neuen Saison. „Gerade im Jahr nach Olympia experimentieren wir viel im Training, da ist es wichtig zu sehen, wie gut wir dabei sind, was die anderen draufhaben“, sagt Bundestrainer Peter Kraneis. Die Olympischen Spiele bestimmen immer das Denken der Schützen, nur dann rücken sie in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn sie die ersten Medaillen für ihr Land holen.
Auch in Wiesbaden sind kaum Zuschauer da, die nicht zur Schützenfamilie gehören. Auf der Anlage im Keller steigt einem der Geruch von Schwarzpulver in die Nase. Mit dem Rücken zueinander, von einem vier Meter breiten Korridor getrennt, stehen zwei Reihen von fünf Männern mit Ohrenschützern auf dem Kopf und Pistolen in den Händen. 25 Meter vor ihnen ihre Zielscheiben. Dann ruft jemand ein Kommando, und dann krachen die Schüsse.
Es ist so laut, dass man sich die Ohren zuhalten muss, der Körper zuckt im Rhythmus. Für die Menschen, die unbeeindruckt in dem Korridor herumwuseln, nichts Besonderes. Hier herrscht Alltag, so scheint es, und doch ist diesmal alles anders. Denn die Gespräche an den Kaffeetischen werden von einem Thema beherrscht, das in ganz Deutschland die Debatten bestimmt, und wie könnte es ausgerechnet hier auch anders sein?
Der Vater des Amokläufers von Winnenden war schließlich Mitglied in einem Schützenverein, der Junge selbst hat dort das Schießen gelernt, die tödliche Waffe lagerte zu Hause, in einem offenen Schrank. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Strengere Gesetze müssten her, sagen viele, die Bundeskanzlerin fordert die Ermöglichung von unangemeldeten Kontrollen bei Waffenbesitzern. Noch nie wurde über diesen Sport so viel geredet und geschrieben. Für die Schützen ist es laut Kraneis „die größte Katastrophe“.
Sie fühlen sich zu Unrecht unter „Generalverdacht“
1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind Mitglied in einem Schützenverein, jetzt fühlen sie sich zu Unrecht unter einen „Generalverdacht“ gestellt, schrieb Josef Armbacher, Präsident des Deutschen Schützenbundes (DSB). Die Forderungen seien ein „populistischer Reflex“. Die Athleten stimmen ihm zu. „Wenn ich an eine Waffe ran will, um mit ihr ein Verbrechen zu begehen, dann ist die Anmeldung bei einem Schützenverein der schwierigste Weg“, sagt Marcel Goelden, Zwölfter in der Einzelwertung in Wiesbaden und Aktivensprecher. Das Gesetz in Deutschland sei eines der schärfsten der Welt, und in den Vereinen würde allen Schützen von klein auf eingebleut, wie penibel die Vorschriften eingehalten werden müssen.
Für den Besitz einer Waffe bedarf es einer Karte, die nur jemand bekommt, der Zuverlässigkeit, Sachkunde, körperliche Eignung und ein besonderes Bedürfnis nachweisen kann. „Die Karte gibt es nach etwa eineinhalb Jahren Mitgliedschaft. Illegal geht das von heut auf morgen, wenn man wirklich will und das Geld hat“, sagt Goelden. Seine eigene Waffe, die sehr technisch anmutet und nur entfernt an herkömmliche Waffen erinnert, verwahrt er in einem Koffer, den er nicht aus den Augen lässt. Auch dafür gibt es strenge Vorschriften. Waffen müssen getrennt von der Munition verschlossen aufbewahrt werden, Zugang darf nur der Berechtigte haben. Wenn diese Regelungen nicht beachtet werden, so argumentieren die Schützen, könne kein Gesetz der Welt eine schreckliche Tat wie die von Winnenden verhindern.
Schnellfeuerschütze mit Luftgewehr ist wie Hochspringer beim Weitsprung
Aber warum müssen Sportler überhaupt Geräte verwenden, die töten können, deren eigentliche Bestimmung das Töten ist? Christian Reitz kennt diesen Gegensatz genau. Der 21 Jahre alte Krifteler ist angehender Polizist und einer der besten Schnellfeuerschützen der Welt. Mit seinem Beruf habe seine Sportart, seit 1896 olympisch, aber nichts zu tun. „Natürlich liegt der Ursprung beim Militär, aber das ist beim Speerwerfen genauso“, sagt der Bronzemedaillen-Gewinner von Peking. Dass nur noch mit ungefährlichen Luftgewehren oder Lasern geschossen werden dürfte, wäre für ihn keine Alternative. „Dann würde man eine ganze Disziplin abschaffen. Wenn ein Schnellfeuerschütze mit dem Luftgewehr antritt, das wäre so, als ob ein Hochspringer zum Weitsprung wechselt“, argumentiert er.
Und dann würde Deutschland mit ihm wohl einen der aussichtsreichsten Kandidaten für olympische Medaillen verlieren. Das zeigt Reitz auch in Wiesbaden, nach dem siebten Platz im Einzel führt er die deutsche Mannschaft auf einen respektablen dritten Rang hinter der Ukraine und Russland. Doch das wird drei Jahre vor London außerhalb der Schützenfamilie kaum jemand interessieren.
© Constantin Wißmann